11
Okt
2008

Wenn einer stirbt ...

... der niemanden kalt gelassen hat, dann gibt es meist noch am selben Tag all jene Würdigungen eines Menschenlebens, in denen versucht wird, die richtigen Worte zu finden. Einerseits sind das jene Worte, mit denen man den Respekt vor dem Menschen in den Vordergrund rückt, Anteilnahme mit nahen Angehörigen und Freunden zeigt, andererseits wird aber im Fall des Ablebens eines polarisierenden Politikers gerade auch von politischen Gegnern um eine ausgewogene Anerkennung für das positive politische Wirken gerungen.

Im Fall des in der Nacht auf heute bei einem Autounfall tödlich verunglückten österreichischen Politikers Jörg Haider (zuletzt BZÖ) hört sich das zum Beispiel so an (via):

Für Bundespräsident Heinz Fischer war Haider ein "Politiker mit großen Begabungen", der mit seinem politischen Wirken Begeisterung, aber auch entschiedene Kritik ausgelöst habe. Der BZÖ-Obmann habe die Fähigkeit gehabt, "auf die Menschen zuzugehen und zu begeistern" und hätte daher "jede Möglichkeit gehabt, im kommenden Jahr in Kärnten eindrucksvoll wieder zum Landeshauptmann gewählt zu werden".

Für Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) habe Haider "immer einen eindeutigen Standpunkt bezogen" und sei jemand gewesen, der "sich nie ein Blatt vor den Mund genommen und Dinge beim Namen genannt" habe.

Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) sprach davon, dass Österreich mit Landeshauptmann Jörg Haider "eines der größten politischen Talente der letzten Jahrzehnte" verloren habe. Trotz so mancher Auffassungsunterschiede sei für sie erkennbar gewesen, dass für Jörg Haider "vor allem in sozialen Fragen der Mensch im Mittelpunkt seines Handelns gestanden" habe.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) meinte, dass "politische Differenzen und konkurrierende Wertvorstellungen durch den Tod nicht aufgehoben" würden, "aber entscheidend relativiert". Sie anerkenne und würdige die große politische Lebensleistung Haiders, der die österreichische Politik der letzten Jahrzehnte mit geprägt habe. Der Tod Haiders sollte "alle Politiker daran erinnern, dass bei aller Schärfe der politischen Auseinandersetzung der Respekt vor dem Menschen gewahrt bleiben" müsse. Haider habe als "Politiker im Bund wie in Kärnten in den letzten Jahrzehnten viel in Bewegung gebracht".

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl (ÖVP) meinte Haider habe "bewegt und gestaltet, durchaus auch mit Widersprüchen". Die Sozialpartnerschaft habe er gefordert, aber damit letztlich auch bewirkt, dass Anstrengungen und Leistungen erhöht worden seien.

Für ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer (SPÖ) hatte Haider "die Stärke, wie ein Barometer die Stimmungen in der Bevölkerung zu erkennen und anzusprechen."

Meist lassen dann auch die kritischen Stimmen nicht lange auf sich warten, die in solchen oder ähnlichen Worten vor allem anderen eine gute Portion Scheinheiligkeit vermuten. Man kann auch deren Argumente ganz gut nachvollziehen: es sei eben nicht gut, die politische Einschätzung zu adaptieren, das Positive zu sehr überzubetonen oder (sehr) kritische Punkte zu verschweigen, nur weil es die gesellschaftlich geübte Norm der Pietät vor einem gerade erst Verstorbenen so gebiete.

Ich möchte diesem Gedanken heute aber einen weiteren hinzufügen: warum gelingt es (uns allen) eigentlich so furchtbar schlecht, einen Menschen und sein Wirken und Werken schon zu Lebzeiten umfassend und differenziert zu würdigen? Mir fallen heute auf Anhieb eine ganze Reihe an wirklich schwerwiegenden politischen Brocken ein, für die Jörg Haider jahrzehntelang gestanden ist und die ich für vorwiegend richtig und positiv halte, oder über die ich mir zumindest eine umfassende, differenzierte Diskussion wünschen würde.

So stand Jörg Haider natürlich ganz klar gegen das System des politischen Proporzes zweier Parteien, die bereits seit den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr in der Lage waren, die vielfältiger werdende gesellschaftliche Realität abzubilden - ein System, das daher immer mehr Menschen nicht nur von einer adäquaten politischen Vertretung und Teilnahme, sondern auch ganz konkret von einer Unzahl an staats- und damit partei(proporz)nahen Entscheidungspositionen ausschloss und vielfach nach wie vor ausschliesst.

Ebenso stand Jörg Haider damit verbunden natürlich auch gegen die in diesem System mitvorhandenen offensichtlichen Missbräuche öffentlicher Gelder, kritisierte lautstark (und vor allem zu Anfang durchaus auch mutig) völlig überzogene Bezüge von Kämmerer- und Gewerkschafts-Multifunktionären, stellte öffentlich das System der mit dem Parteienproporz engmaschig verknüpften Kammer-Zwangsmitgliedschaften in Frage und trat für eine Ausmistung einer vor allem auch den Marktzutritt neuer Selbständiger erschwerenden österreichischen Gewerbeordnung ein.

Nicht zuletzt kritisierte Jörg Haider bereits seit den 1980er Jahren die Überbürokratisierung unseres Gesundheitssystems und forderte unter anderem die Zusammenlegung der neunzehn Krankenversicherungsträger, fünf Pensionsversicherungsträger und vier Unfallversicherungsträger.

Jörg Haider ist plötzlich, unerwartet und vor allem aus menschlicher Sicht auch viel zu früh von uns gegangen. Seine oftmals aggressive Ausländerpolitik und seine bewusst oder unbewusst vielfach unklar gebliebene Haltung in Fragen der Bewältigung der faschistischen Vergangenheit dieses Landes haben es seinen politischen Gegnern sehr schwer gemacht, seine positiven Beiträge bereits zu seinen Lebzeiten angemessen zu würdigen und auch angemessen aufzugreifen.

Er geht zu einem für Österreichs Politik schwierigen aber auch spannenden Zeitpunkt, zu dem nun in allen Parlamentsparteien mit Werner Faymann, Josef Pröll, Eva Glawischnig und Heinz-Christian Strache eine jüngere Generation ans Ruder kommen wird, die es anders machen will. Genau das möchte ich mir daher heute auch wünschen: Ja, macht es anders. Versucht Eure Vorgänger umfassend zu (er)kennen und zu würdigen, und lernt aus ihren Fehlern. Versucht aber auch euren eigenen Weg zu gehen, verfolgt eure eigenen Ziele und macht auch eure eigenen Fehler dabei.

Genau diese Chance es einfach anders zu machen und sich immer wieder neu zu erproben ist es, der jede Generation sich stellen muss. Und genau diese Chance für das ganz Neue ist daher wohl auch ein tieferliegender Grund dafür, warum wir alle am Ende unseres Weges wiederum Platz machen müssen. Dem Neuen Platz machen müssen.
bastille

brainstorming the bastille?

Geistig erstarrten Bastionen begegnen wir nicht nur in der Politik, sondern beinah überall... nicht zuletzt auch in uns selbst. Und so bleibt aber die ständige Herausforderung, sie immer wieder neu zu erstürmen.

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martin[@]schimak[.]at
VIENNA, AUSTRIA

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dieser ganze zirkus von wegen kampf gegen raucherlokale...
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Tom Schaffer (Gast) - 29. Nov, 22:57
Alles Gute
habe dich gerne gelesen. wenn auch nicht immer kommentiert.
weltbeobachterin (Gast) - 29. Nov, 16:46
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oder ich habe es falsch angewendet. Nicht im Sinne...
weltbeobachterin (Gast) - 29. Nov, 16:40
Zuerst mal alles Gute...
Zuerst mal alles Gute zum Geburtstag! Ich kenne das...
Thomas (Gast) - 28. Nov, 17:24
zum falsch verstehen
Muss mich jetzt doch nochmal dazu äußern... "weltverschwöru ng...
shaman (Gast) - 27. Nov, 14:47
naja, ich muss mich auch...
naja, ich muss mich auch öfter mal über ihn wundern...
maschi - 26. Nov, 22:14
sorry
aber Misik ist für mich ein rotes Tuch. Ich kann seine...
weltbeobachterin (Gast) - 26. Nov, 19:44

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