8
Feb
2008

Mehr Chancen bitte!

Robert Misik fordert "Mehr Gleichheit, bitte" - und meint damit letztlich die "gerechtere" Verteilung des Vorhandenen. Zuviel Ungleichheit schade im Endeffekt allen - auch der "Wirtschaft". Er wird damit zweifellos nicht meinen, dass er für sein FS Misik demnächst öffentlich-rechtliche Gebühren einzufordern gedenkt - aus dem Gerechtigkeitsaspekt heraus stünden sie ihm zweifellos zu.

Mehr Gleichheit, also. Ich meine: Jein. Misiks Schlussfolgerung ist nicht falsch, wir müssen aber mehr differenzieren, was wir denn genau gleich haben wollen und in welchen Bereichen und welchem Ausmass wir Ungleichheit bewusst zulassen. Beides gehört dann auch offen an- und ausgesprochen. Nicht nur das Zuviel an Ungleichheit schadet im Endeffekt allen, sondern pikanterweise auch zuviel Gleichheit - genau deshalb ist diese Debatte wohl auch so schwierig zu führen. Wie so oft, wenn sich Fronten dauerhaft einander gegenüberstehen, liegt das weniger an der unentrinnbaren Unversöhnlichkeit der "Guten" und Wohlmeinenden mit den unausrottbar "Bösen" und Habgierigen, sondern mehr daran, dass beide Seiten wichtige Aspekte in die Debatte einbringen und erst eine gesunde Balance zum gewünschten Erfolg führt.

Schwer zu erreichen freilich, so eine Balance, wenn ständig die "Gleichheits"- und die "Freiheits"-Verfechter auf die Wippe hüpfen und niemand da ist, der zunächst mal stehen bleibt und nachdenkt, wie so eine Wippe in der Balance zu halten wäre. Sind wir dazu verdammt, auf ewig unsanft am Boden aufzuschlagen?

Wir brauchen zweifellos eine Debatte darüber, welches Ausmass an Gleichheit, im Sinne stets realisierbarer Partizipationsmöglichkeiten wir wirklich allen zugestehen wollen und können - völlig unabhängig davon, wie gross ihr Beitrag zum "Ganzen" ist. Meine Ausgangspunkte für eine solche Debatte wären
  • Bildungschancen müssen gleich verteilt werden. Es darf - so gut es irgendwie geht - nicht durchs Elternhaus determiniert sein, welche Entwicklungschancen ein neugeborener Mensch in seinem späteren Leben vorfinden wird.
  • Wir dürfen niemanden unter eine Grenze an Armut und wirtschaftlich realisierbaren Entwicklungsmöglichkeiten fallen lassen, die ihm ein Erstarken aus (wiedergefundener) innerer Kraft nicht mehr ermöglicht.
  • Wir brauchen im Sinne der Kosten- und Nutzenwahrheit einen "horizontalen" Ausgleich der nach wie vor vorwiegend von Frauen mit Lebenszeit und -chancen "finanzierten" Familien- und Erziehungsarbeit.
  • Wir sollten ernsthaft in Erwägung ziehen, jedem Individuum über die Absicherung der grundlegendsten Bedürfnisse (wie medizinische Versorgung, Nahrung und ein Dach über dem Kopf) hinaus eine Art finanziellen Vertrauensvorschuss in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens mit auf den Weg zu geben. Motto: Da hast du. Mach was draus.
Alle diese Aspekte lassen sich natürlich unter dem Aspekt einer allen zustehenden Menschenwürde argumentieren, sie lassen sich aber gerade auch durch die von Misik angesprochene wirtschaftliche Sinnhaftigkeit argumentieren. Hintergrund dafür ist, dass eine Gesellschaft, die - basierend auf einem gerüttelt Maß an Gleichheit - die real freie Entscheidung für oder gegen unternehmerische, marktorganisierende, selbständige Erwerbstätigkeit erlaubt, eine wirtschaftlich erstarkende Gesellschaft sein wird.

Ein verwaltungsmässig möglichst schlankes, auf wirtschaftliche Emanzipation des Individuums fokusierendes "soziales Netz" für alle nützt daher im Endeffekt tatsächlich allen, auch jenen, die die damit verknüpften Garantien nicht notwendig haben. Es erlaubt einer breiter werdenden Masse das Eingehen höherer persönlicher Risken - und genau dieses "Sich-einlassen-Können" auf Risiko ist eine unabdingbare Voraussetzung für private und gesellschaftliche Prosperität.

Die andere und ebenso wichtige Seite der Medaille: Wir brauchen ergänzend zur Gleichheitsdebatte daher ebenfalls eine Debatte darüber, welches Ausmass an Freiheit wir dann wirklich allen zugestehen wollen und können - völlig unabhängig davon, wie sie ihre Freiheiten nutzen wollen, nutzen werden und auch zu nutzen in der Lage sind. Auch Freiheit benötigt Vorhersagbarkeit, Rechtssicherheit, eine ausreichende Gewissheit, dass einem nach Betreten eines heute garantierten Freiraums dort nicht schon morgen wieder der Boden unter den Füssen weggezogen wird. Sie benötigt also ebenfalls einen Rahmen, in dem für ein modernes Verständnis von "Gemeinwesen" viel Raum wäre, ohne dass sich dieses Öffentliche und für alle Einheitliche als Antithese zum Privaten und Vielfältigen verstehen müsste, sondern vielmehr als Grundlage dafür dienen könnte.

Wenn wir auf Basis einer solchen Gleichheits- und Freiheitsdiskussion einen stetig besser werdenden gesellschaftlichen Konsens darüber erzielen können, wie schlimm ein "Scheitern in Freiheit" ausfallen kann, weil es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass wir ein vereinbartes Mass an Gleichheit wollen und gemeinsam tragen, dann sollte aber auch die Debatte darüber leiser werden, dass in Freiheit nicht nur Scheitern möglich ist, sondern auch fast grenzenloser "Erfolg" - auch wenn dieser individuell rein über Reichtum an finanziellen Mitteln definiert werden sollte.

Hat in einer Gesellschaft, in der es der Mitte ausgezeichnet geht und der "Absturz nach unten" nicht bodenlos ist, wirklich irgendjemand ein Problem damit, wenn die Skala wirtschaftlichen Erfolgs eine "nach obenhin" offene Skala ist? Ich habe damit kein Problem - sondern glaube vielmehr, dass wir über die falschen Dinge diskutieren. Nicht die vielzitierte "Einkommensschere" ist interessant für mich, sondern eine Stärkung der Mitte, sowie ein gutes Augenmass dafür, dass der Abstand des Minimums zum Durchschnitt niemals so gross werden darf, dass die Chance, aus eigenem Engagement wieder "nach oben" zu gelangen aufgrund real fehlender Partizipationsmöglichkeiten gegen Null sinkt.

Eine politische Umverteilungsdebatte zwischen Individuen, die vergleichbare Chancen vorgefunden haben, ein ähnliches Sicherheitsnetz in Anspruch nehmen konnten, aber mit den Konsequenzen einer unterschiedlich genutzten Freiheit nicht leben können oder wollen, eine solche Debatte hielte ich in der von mir heute skizzierten Gesellschaft dann wirklich für eine reine Neiddebatte. Und eine solche würde im Endeffekt nicht nur der so gern mit den Unternehmern identifizierten "Wirtschaft" schaden, sondern ebenfalls uns allen.

Klug?

Liese Prokop hat also klug entschieden und mit der Verschiebung der Aufklärung kriminalpolizeilicher Ermittlungsfehler habe man de facto den SPÖ-Innenminister Schlögl des Jahres 1998 bis nach der NR-Wahl 2006 verschont... und auch an Natascha Kampusch hätte man laut ÖVP-Missethon damals denken müssen, als Liese Prokops Entscheidung fiel, diese Evaluierung nicht in der heißen Phase des Wahlkampfes stattfinden zu lassen.

Allein: warum wird dann erst jetzt 2008 - und nach einer durch Enthüllungen des entfernten Bundeskriminalamtschefs Herwig Haidinger ausgelösten medialen Debatte - "evaluiert"? Warum hat man die eineinhalb Jahre seit der Wahl nicht mehr so intensiv an Frau Kampusch gedacht und zur Klärung aller Vorfragen beigetragen, die entscheidend dafür sein könnten, ob sie einen Amtshaftungsanspruch gegen die Republik hat?

Tsts, Herr Missethon, geht's nun in dieser Tonart weiter?
bastille

brainstorming the bastille?

Geistig erstarrten Bastionen begegnen wir nicht nur in der Politik, sondern beinah überall... nicht zuletzt auch in uns selbst. Und so bleibt aber die ständige Herausforderung, sie immer wieder neu zu erstürmen.

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martin[@]schimak[.]at
VIENNA, AUSTRIA

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Just wanted to say Hello!
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dieser ganze zirkus von wegen kampf gegen raucherlokale...
wallenstein (Gast) - 23. Feb, 11:04
Danke für diesen Blog...
Danke für diesen Blog - ist mir immer wieder ein Vergnügen...
shaman (Gast) - 2. Dez, 11:56
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Tom Schaffer (Gast) - 29. Nov, 22:57
Alles Gute
habe dich gerne gelesen. wenn auch nicht immer kommentiert.
weltbeobachterin (Gast) - 29. Nov, 16:46
Besserwisser ist das...
oder ich habe es falsch angewendet. Nicht im Sinne...
weltbeobachterin (Gast) - 29. Nov, 16:40
Zuerst mal alles Gute...
Zuerst mal alles Gute zum Geburtstag! Ich kenne das...
Thomas (Gast) - 28. Nov, 17:24
zum falsch verstehen
Muss mich jetzt doch nochmal dazu äußern... "weltverschwöru ng...
shaman (Gast) - 27. Nov, 14:47
naja, ich muss mich auch...
naja, ich muss mich auch öfter mal über ihn wundern...
maschi - 26. Nov, 22:14
sorry
aber Misik ist für mich ein rotes Tuch. Ich kann seine...
weltbeobachterin (Gast) - 26. Nov, 19:44

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