18
Feb
2008

Progressiv?

Das Adjektiv progressiv ist ja bekanntlich nicht nur ein gern verwendetes Synonym für sozialdemokratisch oder links, sondern kennzeichnet auch eine Eigenschaft unserer Steuertabellen. Damit ist dann gemeint: wer mehr verdient, zahlt auch mehr, und zwar nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch in prozentueller Hinsicht.

So weit, so fair, allein: ist das denn in Österreich tatsächlich so? Und weiter: ist also progressive Politik auch drin, wo progressives Steuersystem draufsteht? Da ich vergangenes Wochenende gerade mal wieder mit meiner Steuer für 2007 beschäftigt war, gibt mir das Gelegenheit auf eine kleine Rechnung hinzuweisen. Sie stellt die ungefähre prozentuelle Gesamtbelastung des Einkommens durch Sozialversicherung und Einkommensteuer dar. Dabei darf man die Sätze nicht addieren, vielmehr wird die Sozialversicherung im wesentlichen vom Bruttoeinkommen fällig und die Steuer erst vom nach Abzug der Sozialversicherung verbleibenden Rest.

Die hier dargestellten Zahlen beziehen sich auf selbständige "Gewerbetreibende" wie mich, im Lohnsteuerbereich ist das Bild zwar komplexer und aufgrund der Steuerbegünstigung für 13. und 14. Gehalt nicht ganz so krass, aber letztlich nicht entscheidend anders. Bestandteile des Jahreseinkommens eines Selbständigen wurden im Österreich des Jahres 2007
  • von € 0,- bis € 10.000,- mit rund 24,6%
  • von € 10.000,- bis € 25.000,- dann mit 53,5%
  • von € 25.000,- bis € 51.000,- mit 57,5%
  • von € 51.000,- bis € 53.760,- kurz mit 62,3%
  • und ab € 53.760,- nur noch mit 50%
an Sozialversicherungsabgaben und Einkommensteuer belastet. Um es also knapp zusammenzufassen: Die Belastung beträgt vom ersten verdienten Euro an rund 25%, steigt dann für den 10.000 Euro Jahresverdienst übersteigenden Teil sprungartig auf rund 55% an, um nach einem kurzen 63% touchierenden Ausreisser nach oben wieder recht abrupt auf 50% abzusinken - denn ab € 53.760,- im Jahr wird keine weitere Sozialversicherung mehr fällig.

Möchte also irgendjemand dieses System wirklich als wahrnehmbar progressiv bezeichnen? Würden wir ähnlich wie das zB in Dänemark schon heute der Fall ist, unser Sozialsystem komplett über Steuern finanzieren, dann würde provokanterweise selbst eine aufkommensneutrale Einführung einer Flat Tax (mit einem bei Flat Taxes nicht unüblichen Freibetrag in Höhe des Existenzminimums) für österreichische Verhältnisse eine ordentliche Verschärfung der "Steuerprogression" bedeuten - indem die heute bereits ab dem ersten Euro abzuziehende Sozialversicherung für Kleinstverdiener wegfiele, die heute ab € 53.760,- wieder sinkende Belastung abgeschafft würde und der dann wohl über 50% zu liegen kommende "flache" Einheitssteuersatz die höchsten Einkommen geringfügig stärker belasten würde als bisher. Eine so verstandene "Flat Tax" wäre also für Österreich ein sozialpolitischer Fortschritt, der "progressiven" Parteien theoretisch ja am Herzen liegen müsste - vielleicht spielt die Komplexität des von ihnen mitgeschaffenen Systems hierbei aber eine hinderliche Rolle?

Das bedeutet nun nicht, dass ich selbst mir so ein ganz flaches Steuer- und Abgabensystem wünsche, sondern ich weise nur darauf hin, dass wir es spätestens seit der Grasserschen Steuerreform 2005 de facto bereits haben.

Unser Steuer- und Abgabensystem ist also eigentlich gar nicht progressiv, ist aber wenigstens unsere Politik progressiv im besten, fortschrittlichen Sinn des Wortes? Nun, die eigentliche Problematik unserer europäischen Steuersysteme scheint mir in einem anderen Bereich zu liegen. Ich glaube heute mit Blick auf zB das prosperierende Hochsteuerland Dänemark und Angela Merkel, dass eine schrittweise Anhebung der Mehrwertsteuer bei ebenso schrittweiser Absenkung vieler anderer Steuern wichtiger Teil eines wahrhaft "progressiven" und auch zutiefst "sozialen" Wegs in das Jahrhundert der Globalisierung werden könnte. Warum die Arbeitslosenquote in Dänemark seit Jahren sinkt, im Dezember 2007 einen Tiefstand von 2,7% erreicht hat, und voraussichtlich noch weiter sinken wird, und das obwohl die Dänen im Fall der Arbeitslosigkeit bis zu 90% ihres Lohns für 4 Jahre fortgezahlt bekommen - all das scheint uns Alpenbewohner bisher freilich vergleichsweise wenig zu interessieren. Wir beschäftigen uns da bekanntlich lieber mit der Abwehr von "Wirtschaftsflüchtlingen" - in aller Regel übrigens besonders ehrgeizige, ambitionierte, kurz: für das Blühen und Gedeihen unserer Volkswirtschaft besonders wertvolle Menschen...

Mich interessiert Dänemark aber schon, und dazu und vor allem zum Thema Mehrwertsteuer daher ein anderes Mal sicher noch mehr. Mir ist nämlich vergangenes Wochenende auch klar geworden: ich muss als Österreicher wohl noch mehr arbeiten, um dieses Steuersystem trotz der steigenden Ausgaben für meine Familie auch "bedienen" zu können - wieviele Menschen von meinem Verdienst nach Abzug von Sozialversicherung und Steuern leben müssen, bleibt in Österreich nämlich ebenfalls weitestgehend unberücksichtigt - und zwar selbst dann, wenn ein Alleinerhalter erst durch den Zugriff des Finanzministers unters Existenzminimum rutscht. Wobei: ich könnte ja als EU Bürger mit meiner Familie eigentlich auch nach Dänemark gehen... mal sehen... die skandinavischen Länder, die laufend unter Beweis stellen, dass sich Progressivität und Intelligenz nicht ausschliessen müssen sind mir jedenfalls schon seit langem sympathisch!
bastille

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Geistig erstarrten Bastionen begegnen wir nicht nur in der Politik, sondern beinah überall... nicht zuletzt auch in uns selbst. Und so bleibt aber die ständige Herausforderung, sie immer wieder neu zu erstürmen.

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habe dich gerne gelesen. wenn auch nicht immer kommentiert.
weltbeobachterin (Gast) - 29. Nov, 16:46
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zum falsch verstehen
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shaman (Gast) - 27. Nov, 14:47
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maschi - 26. Nov, 22:14
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aber Misik ist für mich ein rotes Tuch. Ich kann seine...
weltbeobachterin (Gast) - 26. Nov, 19:44

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