9
Apr
2008

Fick doch die Politik.

Frau Knecht berichtet unter dem knalligen Titel "Fick Deine Mutter" in ihrer wöchentlichen Falter Kolumne erleichtert, dass sie ihre Kinder in einer "kuscheligen, kleinen Schule" untergebracht hat - und Freund Bruckner empört sich über die Masche, mit der sie sich zu rechtfertigen versucht. Er hat ja nicht ganz unrecht, wenn er hier eine Fortsetzung alter, vorwiegend katholisch geprägter Tradition ortet, die Tradition des Sündigens und nachfolgenden Beichtens nämlich, eine Tradition auch, die diese Abfolge zum immerwährenden Zyklus und zu einer Art "sündigem" Normalfall erhebt - schlussendlich profitiert ja auch die die Sünden erlassende Institution von den sündigen Beichtern...

Alles in allem trifft diese Kritik an Doris Knecht aber für mich nicht den wichtigsten Punkt. Der wichtigste inhaltliche Punkt ist, dass Frau Knecht ihre Kinder trotz eines aufgrund anders gearteter politischer Überzeugung schlechten Bauchgefühls in eine Schule schickt, in der sie es ihrer Ansicht nach gut haben werden.

Ich meine: gut so. Und frage: was ist das für eine schlechte Gesellschaft, in der Frau Knecht sich befinden muss, die sie dazu animiert, eine derartig merkwürdige Rechtfertigung in alle Öffentlichkeit hinauszuschrei(b)en?

Es ist wert, sich ein wenig damit auseinanderzusetzen, denn Frau Knecht macht sich hier ja nicht ganz untypische Probleme. Diese sind mir selbst, der als politisch denkender Mensch und Vater zweier kleiner Mädchen nun auch bald vor solchen Entscheidungen steht natürlich auch schon mal durch den Kopf gegangen. Nun, ich kenne solche Gedanken zwar, aber ich muss gleich wieder einschränken: ich mache mir die Probleme nicht wirklich. Denn ich finde schon lange - und wahrlich nicht nur in diesem Bereich - dass man als Einzelperson einfach nicht alle Dinge wiedergutmachen oder "büssen" kann, die die Politik zuvor geradezu gnadenlos verbockt hat.

Ich muss nämlich mein eigenes Leben leben. Heute - hier - jetzt. Ich habe mit meinem Leben heute - hier - jetzt keinerlei Zeit darauf zu warten, bis die Politik irgendwann kapiert, wie manches vielleicht besser gehen könnte. Ich muss heute - hier - jetzt versuchen, das beste aus all dem Mist um mich herum zu machen, gemäss meinen eigenen Überzeugungen. Das bin ich, um beim Thema zu bleiben, im übrigen auch meinen Kindern schuldig: zu versuchen, die beste Wahl für sie zu treffen, wo immer sie sie selbst noch nicht treffen können. Und dazu gehört für mich im konkreten Fall sowohl, dass ich sie weder in einer rundum-heilen (und vor Geld stinkenden) Welt abriegele, noch, dass ich sie - um nur ein mich konkret betreffendes Beispiel herauszugreifen - in eine Schule schicke, in der zu 80% türkisch gesprochen wird.

Es gibt solche Schulen in unserer Umgebung und ich füge hinzu: wir wohnen gerne hier und zumindest die in unserem Haus lebenden türkischstämmigen Nachbarn kriegen schön langsam mit, dass wir zwar "Uralt-Österreicher" und "Ungläubige" sind, aber dennoch keine Unmenschen. Es dauerte aber leider wirklich Jahre (nach Jahren, in denen wir trotz intensiver Bemühungen unsererseits freundlich zu sein meist nichtmal gegrüsst oder wahrgenommen wurden). Ja, ja, ich weiss, die unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen ... usw., ich weiss, aber ich bin hier mal sehr hart und verweise schlicht auf mein persönliches Erleben und die Religion als solche (nicht eine bestimmte), die ich hauptverantwortlich dafür mache, dass Menschen ihre Mitmenschen nicht einfach so als Menschen wahrnehmen können... es ist leider tatsächlich so. Und genau so einer Umgebung werde ich aber meine Kinder sicher nicht aussetzen. Ja bin ich denn wahnsinnig? Nein, bin ich eben nicht.

Meine Frau und ich haben überhaupt keine Probleme mit "Ausländern", aber schon gar keine. Die real existierenden Ghettos sind weder meine Schuld, noch war ich je oder bin ich aktuell für sie, ja ganz im Gegenteil. Die Folgen falscher, über Jahrzehnte verfehlter ("linker") Stadtpolitik (zu späte Öffnung der Gemeindebauten, zu späte und zu wenige Integrationsbemühungen hinsichtlich insb. türkischstämmiger Frauen, eine gesellschaftlich weitestgehend unkritische Hinnahme menschenunwürdiger Praktiken unter dem Mäntelchen der Religionsfreiheit etc etc), ich soll sie am Ende tragen? Keine Lust, dankeschön. Und von der jahrzehntelangen Verschleppung der Einführung der Gesamtschule durch die Bundespolitik mal ganz abgesehen, ja macht sie doch endlich, dann schicke ich meine Kinder hin.

Und und und... ich scheiss auf diese Politik, mit Verlaub. Und ich kann als Einzelner sie weder ausgleichen, noch fühle ich mich verpflichtet "korrekt" zu handeln, noch werde ich meine Kinder für sie büssen lassen. Ich tue als Einzelmensch dort wo es geht - ja, aber es gibt definitiv Grenzen.

Ich habe politisch klare Positionen in all diesen Fragen. Aber ich muss und werde meine Kinder schützen. Ich schütze sie damit nämlich gerade auch vor realer Politik und ihren negativen Folgen. Und ich trage meiner Ansicht gerade damit am besten dazu bei, dass vorgezeigt wird, wie es anders geht, dass Leute mit Initiative (sei diese nun öffentlich oder privat finanziert, ganz egal), die es meiner bescheidenen Ansicht nach besser können, auch unterstützt werden, indem ich sie unterstütze und damit "wichtiger" mache, und indem last not least Kinder heranwachsen (meine Kinder), die einen realistischen Blick auf die Welt bekommen - und mal in der Lage sind, was Positives beizutragen.

Auch deshalb, weil ihnen selbst Positives widerfahren ist.

Ich verstehe Frau Knecht daher in ihrem Verhalten - ohne die Schule zu kennen, um die es sich hier dreht. Ihre Rechtfertigung halte ich aber für merkwürdig - sie zeugt für mich von mangelndem Nachdenken und im Grunde auch von mangelndem Selbstbewusstsein. Sehr bedenklich für mich, dass man sich letztlich dafür glaubt rechtfertigen zu müssen, dass man schlicht und ergreifend versucht, das unter gegebenen Umständen Beste zu tun.

Meine Kinder werden übrigens, so sie "uns" nehmen, in eine öffentliche Volkschule gehen - allerdings nicht in irgendeine, sondern eine von uns bewusst ausgesuchte. Liesse man mir am Ende allerdings tatsächlich nur die Wahl zwischen einer für mich aus welchen Gründen auch immer untragbaren Schule und einer vor Geld stinkenden Privatschule - ich würde mein letztes Hemd ausziehen und nur noch Kartoffeln essen, nur um meine Kinder dorthinzuschicken.

Und nocheinmal: das ist auch gut so.

Ein Update - irgendwie off topic - und dann doch wieder nicht: ein vielversprechender junger Grünbundesrat mit türkischem "Migrationshintergrund" und der unmittelbar folgende Broderismus-Reflex von Tom Schaffer, der für mein Empfinden nun schon so leicht auszulösen ist, dass auch absolut konstruktive Debattenbeiträge auf dieser Basis nicht mehr wahrgenommen werden können...
bastille

brainstorming the bastille?

Geistig erstarrten Bastionen begegnen wir nicht nur in der Politik, sondern beinah überall... nicht zuletzt auch in uns selbst. Und so bleibt aber die ständige Herausforderung, sie immer wieder neu zu erstürmen.

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Tom Schaffer (Gast) - 29. Nov, 22:57
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habe dich gerne gelesen. wenn auch nicht immer kommentiert.
weltbeobachterin (Gast) - 29. Nov, 16:46
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weltbeobachterin (Gast) - 26. Nov, 19:44

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