1
Aug
2008

Weg mit der 4% Hürde.

Gerade mal zurück aus dem Off, bin ich doch gleich mal recht erfreut über diesen Beitrag. Die Vorstellung, dass in Österreich vielleicht auch 7 Parteien im Parlament vertreten sein könnten werde laut Chorherr immer wieder assoziiert mit "Chaos, Unregierbarkeit, Niedergang", kurz mit sog. "italienischen Verhältnissen". Schaue man sich aber international um, dann entpuppe sich das de facto als Halbwissen: denn mit die stabilsten und vorbildlichsten nordeuropäischen Demokratien hätten eben in Wahrheit mehr Parteien in Parlament und Regierung als Österreich.

Ich möchte das angeführte Beispiel Holland ein wenig herausgreifen, weil ich das Land und sein politisches System etwas besser kenne. Die Niederlande sind auf dem von der Zeitschrift "Economist" erstellten Demokratieindex auf Rang 3 zu finden - und so sieht ihr aktuelles Parlament aus:

niederlande-wahlen-2006

Im Kontext wichtigster Punkt im Vergleich zum vom Economist im Mittelfeld der "funktionierenden Demokratien" eingereihten Österreich: die Niederlande kennen keine Mindesthürde beim Einzug ins Parlament. Mit rund 0,67% erreicht man das erste Mandat. Wenn man landesweit genug Wähler für ein Mandat hat, dann darf man dieses auch wahrnehmen. Demgegenüber Österreich: Mandate gibts im wesentlichen erst, wenn man landesweit genug Wähler für rund 7 Mandate hat (oder in einer bestimmten Region rund 25% der Stimmen). Gerecht?

Wenn nicht gerecht, dann vielleicht aber notwendig? Die Folge des Fehlens einer Mindesthürde sind in Holland jedenfalls keinerlei "italienischen Verhältnisse": es dominieren seit jeher die drei Parteien CDA, PvDA und VVD, die inhaltlich in etwa grob mit den bundesdeutschen Parteien CDU, SPD und FDP vergleichbar sind. Es gibt aber immer ein paar zusätzliche, öfter auch wechselnde Kleinparteien, die dadurch für eine Legislaturperiode die Chance bekommen, sich zu profilieren und oft beim nächsten Mal wieder rausfliegen oder stark dezimiert werden. Manchmal, so auch 2006, gehen eine oder mehrere Kleinparteien massiv gestärkt aus dem Wahlgang hervor, wenn die allgemeine Unzufriedenheit mit den etablierten drei Grossparteien einen Höhepunkt erreicht. Das Land wird dadurch keineswegs unregierbar, im Gegenteil, denn von der Unregierbarkeit mangels Alternativen kann Österreich ja ein Lied singen: gerade die Vielfalt der Koalitionsmöglichkeiten macht diese Demokratie lebhaft und inhärent "stabil" gleichzeitig.

Die wenigen Perlen unter den Neugründungen wurden mitunter auch trotz wechselhafter Geschichte zum dauerhaften Bestandteil des politischen Systems - eben weil ihnen der Genickbruch durch einen mehr oder minder "zufälligen" Parlamentsrauswurf erspart bleibt. Beispiel: Die in der obigen Grafik durchaus zu Recht genau in der Mitte angeführte niederländische linksliberale D66 kann seit ihrer Gründung in den studentisch bewegten 1960er Jahren auf eine wechselhafte Geschichte, mehrere Regierungsbeteiligungen und Wahlergebnisse zwischen 2% und 15,5% zurückblicken. Ganz wichtiger Punkt für diese Partei: ein 2% Tiefstand, wie derzeit durch die aus Parteisicht glücklos verlaufene letzte Regierungsbeteiligung verursacht, ist noch kein Todesstoss. Man formiert sich neu und ersucht den Wähler beim nächsten Mal eben um entsprechende Neubewertung des Angebots...

Die Niederlande sind für mich das augenfälligste Beispiel dafür, dass ein Verhältniswahlrecht keinerlei Mindesthürde benötigt, um "italienische Verhältnisse" zu verhindern - eine solche Hürde benötigt allenfalls Italien selbst. "Italienische Verhältnisse" entstehen nicht durch ein zu durchlässiges Verhältniswahlrecht, sondern durch eine aus vielfältigen Gründen historisch gewachsene politische (Un-)Kultur.

Und unsere historisch gewachsene politische (Un-)Kultur in Österreich leidet aber eben nicht an zuviel Instabilität sondern, wenn man so will, an zuviel Stabilität: neue Ideen haben zuwenig Chance vorgetragen werden zu dürfen, gehört zu werden, vielleicht sogar aufgegriffen zu werden.

Blickt man zB auf die ersten Wahlergebnisse der österreichischen Grünen, dann ist ihnen ein früher 4%-Genickbruch eigentlich aus reinem Zufall erspart geblieben: 1986 4,82 %, 1990 4,78 %, 1994 7,31 % und 1995 gleich wieder runter auf 4,81 %. Hätten wir in Österreich statt unserer 4% Hürde gar eine 5% Hürde wie es sie in Deutschland gibt, dann gäbe es vermutlich auch keine etablierte grüne Partei. Einen so langen (finanziellen) Atem hat niemand, kann schon gar niemand haben, der keinen entsprechend potenten Geldgeber hinter sich hat. Dem Versuch der Etablierung einer klassisch-liberalen Partei wurde nach (durch Heide Schmidts Bekanntheitsgrad und Hans-Peter Haselsteiners Geld) erfolgreichen Wahlgängen 1994 (6%) und 1995 (5,5%) aufgrund etwas weniger Glücks bei der Nationalratswahl 1999 dann tatsächlich das Genick gebrochen: das LIF flog mit 3,7% (oder umgerechnet immer noch genug Stimmen für rund 6-7 Mandate in Holland) aus dem österreichischen Parlament.

Also: Gerecht? Notwendig? Fiele irgendjemand ein Stein aus der Krone, wenn 2008 die KPÖ ein Mandat bekäme, Fritz Dinkhauser vielleicht vier und Heide Schmidt zum Beispiel drei? Daher: Weg mit der Mindesthürde. Sie schadet dem politischen Wettbewerb, indem sie kleinen, neuen Parteien entweder erst gar keine Chance lässt oder aber nach kurzer Zeit aufgrund mehr oder weniger zufälliger Ergebnisse den Garaus bereitet. Sie verursacht, dass das spontane Auftreten von Bürgerplattformen ohne grossem Geldgeber im Hintergrund von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Sie führt weiters dazu, dass kleine Parteien mit einer Regierungsbeteiligung ganz zu Recht grosse Existenzängste verknüpfen und daher nur logisch vor allzugrosser Verantwortung zurückscheuen.

Und sie schadet mit alldem unserem politischen System massiv.

PS: By the way, man muss natürlich die Abschaffung fordern, um vielleicht eines Tages eine Senkung auf 2% zu bekommen.
bastille

brainstorming the bastille?

Geistig erstarrten Bastionen begegnen wir nicht nur in der Politik, sondern beinah überall... nicht zuletzt auch in uns selbst. Und so bleibt aber die ständige Herausforderung, sie immer wieder neu zu erstürmen.

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