3
Dez
2007

My teachers and me.

Anlässlich der laufenden Bildungsdebatte in Österreich: ein kleines Sittenbild aus einem gymnasialen Klassenzimmer der 1980er Jahre in Wien.

Mein Klassenvorstand und Mathematiklehrer war zunächst Groupier im Casino, bevor er sich entschloss Lehrer zu werden. Beim Roulettetisch zu stehen und die Gewinne zu kalkulieren sei ein Job gewesen, in dem es sich nach seiner eigenen Definition mit relativ geringem Aufwand ein gutes Auskommen erwirtschaften liess. Lehrer zu werden war aber vor allem hinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich "Freizeit" anscheinend noch attraktiver für ihn: Vorbereitung auf die Stunden mit uns gab es bei ihm grundsätzlich nicht, und Schularbeiten wurden immer am Lehrertisch in der Klasse verbessert, während wir uns nach Gutdünken anderweitig beschäftigt haben - mit vielen Dingen, jedenfalls sicher nicht mit Mathematik. Da sein Unterricht eine formal-minimalistische Abhandlung des "Stoffes" war, zerfiel die Klasse hinsichtlich Mathematik einfach in zwei Gruppen: Jene wenigen, die sie quasi "von selbst" verstanden - und jene vielen, die sich das Durchkommen per Nachhilfeunterricht erkaufen mussten. "Gelernt" im eigentlichen Sinn haben wir bei diesem Lehrer gar nichts.

In Deutsch haben wir hauptsächlich aus seltsamen Lesebüchern laut vorgelesen, Rechtschreib- oder Grammatikfehler machte ich seit jeher kaum welche, darüberhinaus "gelernt" - zB in stilistischer Hinsicht - habe ich so gut wie nichts. Als ich mich in der Oberstufe zu einem Literatur-Vertiefungsfach anmelden wollte, gab mir die Lehrerin zu verstehen, das sollte ich besser bleiben lassen, denn sie wollte eigentlich verhindern, dass das Fach zustandekommen könnte - was ihr auch gelang.

Hinsichtlich Englisch fand ich besonders auffallend, dass wir meistens Deutsch gesprochen haben und die Beschäftigung mit der Fremdsprache selbst vorwiegend auf schriftlichen Ausfüllübungen fusste - gelernt habe ich Englisch mittlerweile zwar gut, unmittelbar nach dem Gymnasium waren meine praktischen Fähigkeiten aber in Relation zum zeitlichen Aufwand schlicht und einfach katastrophal.

Geschichte bestand bei uns darin, dass buchstäblich tausende vom Lehrer vor etlichen Dienstjahren in der Stunde handschriftlich geschriebene Folien mit dem "Overhead"-Projektor an die Wand geworfen wurden - wir mussten abschreiben - das Tempo diktierte der Lehrplan - inhaltlich diskutiert oder besprochen wurde so gut wie nichts.

Geographie genossen wir bei einem weitgereisten Single, von dem sich inhaltlich und auch menschlich das eine oder andere lernen liess - er war sicherlich ein Mann, welcher allein deshalb Lehrer wurde, um ausreichend freie Zeiten für seine Fernreisen in alle Welt zu haben - und dennoch einer unserer wenigen Lichtblicke.

Physik war unendlich langweilig. Ich interessierte mich brennend dafür, stellte aber schon bald keine Fragen mehr, weil ich von unserer Lehrerin keinerlei brauchbare Antworten bekam. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass sie rein menschlich betrachtet eigentlich sehr in Ordnung war.

Unser Chemielehrer war ein kurz vor der Pensionierung stehender Maniac, bei dem Begeisterung für das Fach dann spürbar wurde, wenn er kleine Sprengungen vorführen durfte - das war natürlich amüsant für uns - allein, aus welchen chemischen Zusammenhängen heraus es bei ihm regelmässig "Booom" machte wusste keiner von uns so recht.

Mein Musik-"unterricht" sah so aus, dass jede Stunde ein Zettel reihum ging, auf den wir unsere liebsten Hits notieren durften, diese wurden dann in der jeweils folgenden Stunde abgespielt, denn der Lehrer hatte eine riesige Plattensammlung - all das aber nicht etwa zur Auflockerung oder Ergänzung, sondern ausschliesslich und durch viele Jahre hindurch...

Werken durften wir bei einem Haudegen der alten Schule, welcher all jene Werke, die seinen gestrengen Anforderungen nicht genügten vor den Augen der versammelten Klasse im wahrsten Sinn des Wortes physisch zerstörte.

In Turnen bekamen wir immer drei Basketbälle hingeschmissen und sahen den Lehrer regelmässig die ganze Stunde lang nicht weiter. Er musste sich wohl auf seine anderen Fächer vorbereiten.

Hinsichtlich Informatik - als Unterrichtsfach zu meiner Zeit noch in den Kinderschuhen - ist mir besonders lebhaft in Erinnerung, dass wir von einer Dame unterrichtet wurden, die ich aus heutiger Sicht als sozial auffällig bezeichnen würde und die sich besonders dadurch auszeichnete, dass sie auf keinerlei Fragen antwortete, die auf irgendein Fakt Bezug nahmen, das sie bereits ein einziges Mal erwähnt hatte: "Das habe ich bereits gesagt. Hättest Du besser zugehört." Fragen wurden dann eh kaum mehr gestellt, verstanden wurde aber auch nichts.

Unsere Religionsstunden verbrachten wir zu praktisch 100% damit, unserem Frust über den restlichen Unterricht Ausdruck zu verleihen - der Lehrer war ein feinfühliger Mann und er sah, dass er uns am besten dienen konnte, indem er seine Stunde zu einer Art Gruppentherapie umfunktionierte.

Wir hatten meiner Ansicht eine wirklich nette und engagierte Biologielehrerin. Wir haben viel gelernt bei ihr, bekamen Anschauungsmaterial, durften durch Mikroskope sehen und hatten auch einiges an Spass dabei.

Vielleicht habe ich durch sie und ihren Unterricht auch begriffen, woran es in unserem Schulsystem in allererster Linie krankt. An einem Phänomen nämlich, welches man gemeinhin mit dem Begriff der Negativen Auslese umschreibt. Wer wird bei uns vom Lehrerberuf angezogen und warum? Welche Methoden werden angewandt, um die Eignung festzustellen? Welche Mechanismen gibt es, um schlechte Personalauswahlentscheidungen rasch wieder korrigieren zu können?

Sind meine Erfahrungen "repräsentativ"? Natürlich nicht, sie sind aber eben auch nicht "zufällig", sondern im Rahmen dessen, was einem Wiener Gymnasiasten an "Losglück" hinsichtlich seiner Lehrer durchaus realistisch so alles blühen kann.

Betonen möchte ich zum Abschluss, dass ich mit diesem kleinen persönlichen Erfahrungsbericht - der in keiner Weise Effekthascherei betreibt oder überzeichnet, sondern leider schlicht und einfach wahr ist - ganz sicher niemanden verletzen möchte, der in unserem Schulbetrieb versucht sein Bestes zu geben. Ich weiss, dass es solche Leute dort gibt...
bastille

brainstorming the bastille?

Geistig erstarrten Bastionen begegnen wir nicht nur in der Politik, sondern beinah überall... nicht zuletzt auch in uns selbst. Und so bleibt aber die ständige Herausforderung, sie immer wieder neu zu erstürmen.

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martin[@]schimak[.]at
VIENNA, AUSTRIA

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Tom Schaffer (Gast) - 29. Nov, 22:57
Alles Gute
habe dich gerne gelesen. wenn auch nicht immer kommentiert.
weltbeobachterin (Gast) - 29. Nov, 16:46
Besserwisser ist das...
oder ich habe es falsch angewendet. Nicht im Sinne...
weltbeobachterin (Gast) - 29. Nov, 16:40
Zuerst mal alles Gute...
Zuerst mal alles Gute zum Geburtstag! Ich kenne das...
Thomas (Gast) - 28. Nov, 17:24
zum falsch verstehen
Muss mich jetzt doch nochmal dazu äußern... "weltverschwöru ng...
shaman (Gast) - 27. Nov, 14:47
naja, ich muss mich auch...
naja, ich muss mich auch öfter mal über ihn wundern...
maschi - 26. Nov, 22:14
sorry
aber Misik ist für mich ein rotes Tuch. Ich kann seine...
weltbeobachterin (Gast) - 26. Nov, 19:44

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